"Tue nichts aus Angst, Schuld, Scham, Pflicht oder um mehr geliebt zu werden und erwarte auch nicht von anderen, dass sie etwas aus Angst, Schuld Scham oder Pflicht für dich tun. Unser Leben ist viel zu kurz und zu wertvoll, für den Preis, den ihr dafür bezahlen werdet. Tue alles nur mit der Freude eines kleinen Kindes, das eine hungrige Ente füttert."

 

Marshall B. Rosenberg

 

 

Ich besuchte einmal einen Freund, einen Schulleiter, in seinem Büro. Durch das Fenster sah er gerade, wie ein großes Kind auf ein kleineres einschlug. „Entschuldige“, sagte er, als er aufsprang und zum Spielplatz lief. Er packte das größere Kind, gab ihm eine Ohrfeige und schimpfte: „Ich werde dich lehren, dass man die Kleineren nicht schlägt!“ Als er wieder zurückkam, sagte ich beiläufig: „Ich glaube nicht, dass du dem Kind das beigebracht hast, was du wolltest. Ich habe den Verdacht, dass es stattdessen gelernt hat, nicht die Kleineren zu schlagen wenn jemand, der stärker ist — wie zum Beispiel der Direktor — zuschaut! Außerdem hast du vielleicht noch seine Meinung bekräftigt, dass man andere schlagen muss, wenn man etwas von ihnen will.“
In solchen Situationen empfehle ich, zuerst dem Kind Empathie zu geben, das sich gewalttätig verhalten hat. Wenn ich z.B. ein Kind sehe, das jemanden schlägt, nachdem es beschimpft worden ist, kann ich mich folgendermaßen einfühlen: „Ich habe den Eindruck, dass du dich ärgerst, weil du gerne mit mehr Respekt behandelt werden möchtest.“ Wenn meine Vermutung richtig war und das Kind mir das bestätigt, dann würde ich meine eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Bitten in dieser Situation zum Ausdruck bringen, jedoch ohne ihm Vorwürfe unterzujubeln: „Ich bin traurig, weil ich gerne hätte, dass wir Wege finden, Respekt zu bekommen, ohne aus anderen Leuten Feinde zu machen. Sag mir doch bitte, ob du gemeinsam mit mir andere Möglichkeiten herausfinden magst, wie du den Respekt bekommen kannst, den du haben möchtest.

 

Quelle: Marshall B. Rosenberg, „Gewaltfreie Kommunikation“

 

 

 

Als ich diese Arbeit der Gewaltfreien Kommunikation begonnen habe, wusste ich, ich würde dieser Arbeit nicht trauen können, wenn sich diese Grundsätze nicht auch auf Hitler anwenden ließen. Ich dachte, die Methode ist nur etwas wert, wenn ich auch für Hitler Verständnis und Empathie würde aufbringen können. Deshalb habe ich alles über Hitler gelesen, was ich finden konnte. Ich wollte verstehen, was in diesem Mann vorging. (...) Die Indoktrination, mit der er aufgewachsen ist, und die, mit der ich aufgewachsen bin, liegen übrigens gar nicht so weit voneinander weg. Hitler hat gelernt, dass Juden schlechte Menschen sind, und mir ist eingeimpft worden, dass die meisten Menschen um mich herum keine Juden mögen und deshalb schlechte Menschen sind. Und deshalb waren Nicht-Juden grundsätzlich böse. Mit anderen Worten: Mir wurde eine ähnliche Denkweise vermittelt wie Hitler – der Unterschied lag nur in der Identifikation des Bösen. (...) Aus seiner Sicht hat Hitler überhaupt nichts Schlimmes getan, sondern er hat heldenhaft dafür gesorgt, dass die Welt von „Ungeziefer“ befreit wird. (...) Ich weiß, wie schwer das für die Deutschen ist. Seit ich auch in Deutschland arbeite, bin ich immer wieder mit den massiven Schuldgefühlen der Deutschen konfrontiert worden. In jedem Workshop kommt dieser Schmerz zur Sprache, den so viele Menschen spüren, in deren Familien Nazis waren. Und ich muss mir jedes Mal auf die Zunge beißen, um nicht zu sagen: „Aber warum fühlt ihr euch denn dafür schuldig?! Ihr wart doch nicht mal dabei!“ Aber es reicht, dass ihre Vorfahren dabei waren. Es reicht ihnen oft sogar, dass sie Deutsche sind, um sich schuldig zu fühlen. (...) Wissen Sie, Schuldgefühle führen dazu, dass die Menschen denken, sie seien nicht in Ordnung so, wie sie sind – und das hilft niemandem. Aber ich wünschte, sie könnten Traurigkeit spüren, Traurigkeit und Trauer über das was sie, bzw. ihre Vorfahren, getan haben.

 

Quelle: Marshall B. Rosenberg, Koflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation – Ein Gespräch mit Gabriele Seils, Herder 2004